Beruflich neu starten mit 44: Was ich aus meiner Krebserkrankung gelernt habe

von Susanne Seydel  - Oktober 26, 2025

„Jetzt habe ich endlich meine Pause.“

Das war einer meiner ersten Gedanken, als ich 2020 mit 44 Jahren die Diagnose Brustkrebs erhielt. Nicht nur Angst und Schock – sondern auch Erleichterung. Erleichterung, endlich nicht mehr funktionieren zu müssen.

Wenn es erst eine schwere Krankheit braucht, damit du dir erlaubst zu pausieren, läuft etwas fundamental falsch. Nicht nur im Job. Auch in dir selbst.

Was folgte, war ein Weg durch Krankheit, gescheiterten Wiedereinstieg, Fast-Burnout und schließlich eine komplette berufliche Neuorientierung. Heute bin ich systemische Coach und Resilienztrainerin – und begleite Frauen auf genau diesem Weg.

In diesem Artikel teile ich meine Erfahrungen mit beruflicher Veränderung in der Lebensmitte und was ich daraus über Warnsignale, innere Antreiber und echte Veränderung gelernt habe.

Die Warnsignale, die ich jahrelang ignoriert habe

Rückblickend waren die Zeichen schon lange da. Aber ich war zu beschäftigt mit Funktionieren, um sie zu sehen.

Damit bin ich nicht allein: In einer aktuellen Umfrage von Oktober 2024 gaben 44 Prozent der Vollzeitbeschäftigten in Deutschland an, sich häufig durch die Arbeit mental erschöpft oder ausgebrannt zu fühlen. Fast jeder Zweite!

Und Frauen berichten dieses Gefühl tendenziell häufiger als Männer. 2020 entfielen auf Frauen 174 Ausfalltage je 1.000 AOK-Mitglieder wegen Burnout, auf Männer nur 97,6 Tage – 78 Prozent mehr.

Die Warnsignale, die ich ignoriert habe, waren diese:

Du funktionierst nur noch

Morgens aufstehen, Team führen, Projekte managen, Mutter sein, kranke Eltern pflegen, Haushalt, ins Bett fallen. Repeat. Keine Freude mehr, nur noch Abarbeiten. Das Leben fühlt sich an wie eine endlose To-Do-Liste.

Der Job fühlt sich schwer an

Montag morgens und du denkst „Schon wieder“. Die Arbeit, die dich mal erfüllt hat, kostet jetzt nur noch Energie. Keine Leichtigkeit mehr , keine Ideen. Nur noch Druck.

Du bist immer für andere da – nur nicht für dich

Du kümmerst dich um alle. Aber wann hast du das letzte Mal gefragt: Was brauche ICH eigentlich? Was will ich wirklich? Die Antwort kennst du nicht mehr.

Du hast keinen Raum mehr zum Träumen

Früher hattest du Träume, Ideen, Ziele. Heute? Keine Ahnung. Du funktionierst, arbeitest ab, schläfst. Der Gedanke „Was will ich eigentlich?“ kommt gar nicht mehr auf. Dafür ist keine Energie da.

Du kannst nicht mehr abschalten

Abends auf der Couch – die Gedanken kreisen. Nachts im Bett – die Gedanken kreisen. Immer das Gleiche: Wie soll das bloß weitergehen? Soll ich kündigen? Kann ich mir das leisten? Die Grübelschleife hört nicht auf. Du kommst nicht mehr runter.

Dein Schlaf ist gestört

Erst kannst du nicht einschlafen. Dann nicht durchschlafen. Die Gedanken rasen. Du kriegst Panik, denn du musst doch schlafen, kannst einfach nicht mehr. Irgendwann greifst du zu Schlaftabletten – nur um wenigstens ab und zu mal schlafen zu können. Und fühlst dich dabei auch noch schuldig.

Du bist erschöpft – zeigst es aber nicht

Nach außen stark und funktional. Im Meeting nickst du, lächelst, machst mit. Abends fällst du erschöpft ins Bett, auch wenn du dort keine Erholung findest. Aber niemand darf sehen, wie fertig du bist.

Ich habe all diese Signale ignoriert. Bis mein Körper die Notbremse zog.

Burn Out
sydney latham_unsplash

Warum der Wiedereinstieg nach der Krankheit scheiterte

Nach der Operation und Reha freute ich mich darauf, zurück in meinen Job zu kommen. Ich dachte „Jetzt wird alles anders. Ich achte besser auf mich.“

Aber die Realität sah anders aus.

Es gab kein professionelles Wiedereingliederungsmanagement

Keine Struktur, keine Begleitung, kein „Wie geht es dir wirklich?“. Der Schreibtisch war ruck zuck wieder voll. Die Erwartungen die gleichen wie vorher.

Aber ich trug auch Verantwortung

Ich wollte sofort wieder perfekt funktionieren. Alle Erwartungen erfüllen. Bloß nicht schwach wirken. Bloß niemandem zur Last fallen. Meine inneren Antreiber – „Sei stark“, „Sei perfekt“, „Streng dich an“ – liefen auf Hochtouren.

Wer seine eigenen Verhaltensmuster nicht kennt und daran arbeitet, dem helfen auch die besten äußeren Strukturen nicht.

Der Fast-Burnout als Wendepunkt

Sechs Monate nach meiner Rückkehr stand ich kurz vor dem Burnout. Ich war erschöpft, überfordert, leer. Und ich merkte: So geht es nicht weiter.

Ich kündigte. Und fing endlich an, mir die richtigen Fragen zu stellen:

  • Wie geht es mir wirklich?
  • Was habe ich durch die Erkrankung gelernt?
  • Was macht mich aus?
  • Wie möchte ich in Zukunft leben und arbeiten?


Was ich über berufliche Neuorientierung gelernt habe

1. Veränderung beginnt innen, nicht außen

Ich dachte lange, ich muss nur den Job wechseln, dann wird alles gut. Aber die Wahrheit ist: Wenn du deine inneren Antreiber nicht kennst, nimmst du sie mit in jeden neuen Job.

Frage dich:

  • Was treibt mich wirklich an? Perfektionismus? Die Angst, nicht gut genug zu sein? Das Bedürfnis nach Anerkennung?
  • Wo kommt das her?
  • Und will ich das wirklich noch leben?

Ein Coaching hat mir geholfen, diese Muster zu erkennen und neue Wege zu finden.

2. Selbstfürsorge ist keine Schwäche

Jahrelang dachte ich, Selbstfürsorge ist Egoismus. Wer sich um sich kümmert, vernachlässigt andere. Das ist falsch.

Wer sich ständig zurückstellt, läuft irgendwann leer. Oder wird krank. Selbstfürsorge ist die Voraussetzung für alles – für Gesundheit, für Leistungsfähigkeit, für echte Beziehungen.

Was mir geholfen hat:

  • Grenzen setzen lernen (und aushalten, dass andere enttäuscht sind)
  • Nein sagen ohne schlechtes Gewissen
  • Pausen nicht als Luxus, sondern als Notwendigkeit sehen
  • Fragen: Was brauche ICH gerade?

3. Berufliche Veränderung braucht Zeit und Klarheit

Ich bin nicht von heute auf morgen Coach geworden. Es war ein Prozess. Mit vielen Fragen, Zweifeln, Weiterbildungen, Umwegen.

Was mir geholfen hat:

  • Coaching, um Klarheit über meine Werte und Ziele zu gewinnen
  • Aus- und Weiterbildungen (systemisches Coaching, Resilienztraining, New Work)
  • Zeit zum Ausprobieren und Reflektieren
  • Menschen, die an mich geglaubt haben

Und die Erkenntnis: Es ist ein Weg. Mit Höhen und Tiefen. Es gibt keine perfekte Lösung, nur die, die zu dir passt.

4. Unsere Gesellschaft belohnt die falschen Dinge

80-Stunden-Wochen gelten als Erfolg. „Ich war krank, aber hab trotzdem gearbeitet“ klingt nach Engagement. Wer Grenzen setzt, gilt als nicht belastbar.

Das Leistungsprinzip zieht sich durch unser ganzes System – von der Schule bis ins Arbeitsleben. Von klein auf lernen wir: mehr Leistung = mehr Wert.

Die Frage ist: Wollen wir das wirklich so weiterleben? Und unseren Kindern vorleben?

5. Kultur und Menschlichkeit machen den Unterschied

Für gesundes Arbeiten braucht es keine teuren Konzepte. Es braucht Menschen, die hinschauen. Die fragen „Wie geht’s dir wirklich?“. Die füreinander da sind.

Es braucht Empathie, offene Kommunikation, echte Wertschätzung. Eine Kultur, in der Menschen als Menschen gesehen werden, nicht als Ressourcen.

Und daran kann jeder arbeiten – im Kleinen, jeden Tag.

5 Schritte für deine berufliche Neuorientierung

Wenn du gerade an einem Punkt bist, an dem du merkst „So geht es nicht weiter“, können diese Schritte dir helfen:

Schritt 1: Erkenne und benenne, was ist

Nimm dir Zeit und sei ehrlich zu dir selbst:

  • Wie geht es mir wirklich?
  • Was läuft in meinem Leben gerade nicht gut?
  • Welche Warnsignale ignoriere ich?

Schreib es auf. Sprich es aus. Mit einer Freundin, einem Coach, einem Tagebuch.

Schritt 2: Verstehe deine Muster

  • Was sind meine inneren Antreiber? (Sei stark, sei perfekt, mach es allen recht…)
  • Wo habe ich die gelernt?
  • Dienen sie mir noch – oder machen sie mich krank?

Ein Coaching oder eine Therapie kann hier sehr helfen.

Schritt 3: Finde heraus, was du wirklich willst

Nicht, was andere erwarten. Nicht, was du glaubst tun zu müssen. Sondern was DU willst.

Fragen, die helfen:

  • Wenn Geld keine Rolle spielen würde – was würdest du tun?
  • Was würdest du tun, wenn du wüsstest, dass du nicht scheitern kannst?
  • Wofür stehst du morgens gerne auf?
  • Was macht dich aus? Was sind deine Werte?

Schritt 4: Mach kleine Schritte

Du musst nicht von heute auf morgen kündigen. Berufliche Veränderung kann auch bedeuten:

  • Gespräch mit der Führungskraft über Arbeitszeiten
  • Weiterbildung neben dem Job
  • Stundenreduzierung
  • Interner Wechsel
  • Oder ja, auch Kündigung und Neustart

Wichtig ist: Fang an. Auch kleine Schritte sind Bewegung.

Schritt 5: Hol dir Unterstützung

Du musst das nicht alleine schaffen. Im Gegenteil.

  • Coach oder Therapeutin
  • Netzwerk von Menschen in ähnlichen Situationen
  • Freundinnen, die dich verstehen
  • Mentorin, die den Weg schon gegangen ist

Um Hilfe zu bitten ist keine Schwäche. Es ist Intelligenz.

Häufige Fragen zur beruflichen Neuorientierung

Bin ich zu alt für eine berufliche Veränderung mit 40+?

Nein. Ich habe mit 44 komplett neu angefangen. Heute, mit fast 50, bin ich glücklicher und erfüllter als je zuvor.

Die Lebensmitte ist oft der perfekte Zeitpunkt für Veränderung: Du kennst dich besser, hast Erfahrung, weißt was du NICHT mehr willst.

Kann ich mir eine berufliche Veränderung überhaupt leisten?

Das ist die wichtigste Frage – und sie lässt sich nicht pauschal beantworten. Aber:

  • Nicht jede Veränderung bedeutet weniger Geld
  • Manchmal ist ein Übergang möglich (Teilzeit, nebenberuflich starten)
  • Die Frage ist auch: Kannst du dir leisten, NICHT zu verändern? Was kostet es dich, so weiterzumachen?

Was, wenn ich scheitere?

Diese Angst ist normal. Aber: Was ist Scheitern?

Für mich war der gescheiterte Wiedereinstieg nach meiner Krebserkrankung kein Scheitern, sondern eine wichtige Erkenntnis: So funktioniert es nicht mehr für mich.

Jeder „Fehler“ bringt dich weiter – wenn du bereit bist zu lernen.

Brauche ich eine Ausbildung für einen beruflichen Neustart?

Kommt darauf an. Ich habe mehrere Ausbildungen gemacht (systemisches Coaching, Resilienztraining), weil ich mich sicher fühlen wollte.

Aber: Nicht immer braucht es das. Manchmal reicht es, deine vorhandenen Fähigkeiten neu zu kombinieren oder in einem anderen Kontext einzusetzen.

Wie lange dauert eine berufliche Neuorientierung?

Bei mir waren es etwa 3 Jahre vom Kündigungszeitpunkt bis zum „Ich weiß, wo ich hin will und wie ich es mache“.

Aber es ist ein Prozess, der nicht endet. Ich entwickle mich weiter, mein Business entwickelt sich weiter. Und das ist gut so.

Mein Wunsch für dich

Du musst nicht erst krank werden, um dir zu erlauben, etwas zu ändern.

Wenn du die Warnsignale erkennst, hör auf sie. Wenn du merkst, dass etwas nicht mehr passt, hab den Mut zu handeln.

Berufliche Neuorientierung in der Lebensmitte ist kein Scheitern. Es ist Weiterentwicklung. Es ist Mut. Es ist Selbstfürsorge.

Und ja, es ist auch verdammt schwer. Mit Zweifeln, Ängsten, Unsicherheit. Aber es ist möglich.

Ich bin der lebende Beweis dafür.


Wenn du gerade an einem Punkt bist, an dem du nicht mehr weiter weißt:

Vielleicht spürst du, dass sich etwas ändern muss. Dass dein Job nicht mehr passt. Dass du erschöpft bist und nicht weißt, wie es weitergehen soll.

Ich begleite Frauen in genau dieser Phase – mit 1:1 Coachings, die dir helfen, Klarheit zu gewinnen und deinen Weg zu finden. Schreibe mir an info@susanne-seydel.de

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